Redebeitrag Wiltrud Rösch-Metzler (pax christi Bundesvorsitzende)
Bundesweite Friedensdemonstration am 8.10. in Berlin
Redebeitrag Wiltrud Rösch-Metzler (pax christi Bundesvorsitzende)
(Es gilt das gesprochene Wort!)
„Wer glaubt, dass kleine Dinge nichts bewirken können, der hat noch nie eine Nacht mit einem Moskito in einem Zelt verbracht.“ (afrikanisches Sprichwort)
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
für den Weltfrieden einzutreten, ist eine wichtige Sache. Es geht um gemeinsames Leben auf unserem Planeten. Deshalb seid ihr hier! Deshalb sind hier alle Friedensorganisationen in Deutschland verbündet, alle, die eine Gesellschaft mit Zugewanderten und Flüchtlingen wollen, alle, die von der deutschen Politik Abrüstung und Diplomatie verlangen, alle, die Reichtum teilen wollen und alle, die von Milizen und Staaten Waffenruhe und Frieden einfordern.
Krieg darf nicht sein, weil er den betroffenen Menschen und uns als einer Menschheitsfamilie so viel Leid zufügt.
Als Geschwister können wir den Krieg spüren. In unseren Herzen spüren wir den Krieg in Syrien, in der Ukraine, in der Türkei, in Palästina und anderswo. Wieviel Schmerz kann die Menschheit aushalten?
Es reicht. – Krieg darf um Gottes und der Menschen Willen nicht sein.
Tun wir, die Friedensorganisationen, die Kirchen, Unternehmen, Gewerkschaften, die Kulturschaffenden und Politikerinnen genug, um Krieg nicht mehrmöglich zu machen?
Die Aufgabe ist erdrückend. Sie verlangt von der Politik Beharrlichkeit beim Einsatz für Abrüstung und Waffenruhe, auch jetzt wieder in Aleppo. Nach den Erfahrungen der Kriege in Afghanistan und im Irak, die beiden Ländern keinen Frieden gebracht haben, muss die Bundesregierung Kriegsbündnissen fern bleiben und darf Milizen und Staaten nicht länger militärisch unterstützen. Seit letztem Jahr steigen die Militärausgaben in Deutschland wieder. Schritt für Schritt soll der Militärhaushalt auf das NATO-Ziel von 2 % des Bruttoinlandsproduktes hingeführt werden. Das wären am Ende nicht wie derzeit 34 Milliarden, sondern 65 Milliarden Euro fürs Militär pro Jahr. Im Vergleich zu nicht mal erreichten 0,7 Prozent für Entwicklung ist das ein Skandal.
Kommen wir zu Kultur und Medien. Journalistinnen wie Künstlerinnen möchte ich sagen: Habt keine Angst. Bleibt kritisch gegenüber Militäreinsätzen, die uns oftmals als schnelle Lösung verkauft werden, untersucht Zusammenhänge und lasst euch bei eurem Urteil von Menschenrechten und vom Völkerrecht leiten. Krieg und Wahrheit passen nicht zusammen, genau so wenig wie Frieden und eine menschenverachtende Sprache oder Haltung.
Die Verantwortung der Wirtschaft für Frieden wiegt schwer. Wer Waffen produziert oder Bestandteile, ermöglicht es, Kriege zu führen. Diese Produktion für den Tod verschlingt Ressourcen und Geld, das den Armen der Welt vorenthalten wird. Schwerter zu Pflugscharen, Panzer zu Traktoren, hier ist Fantasie gefragt, Konversionszentren, die diesen Prozess anstoßen.
Die Kirchen müssen ihrem biblischen Auftrag, Frieden zu stiften, nachkommen. So standhaft wie sie sich für Flüchtlinge einsetzen, so standhaft müssen sie sich der neu einsetzenden Aufrüstung widersetzen. Mit der Lehre vom gerechten Krieg hatte die Kirche lange Zeit Rechtfertigungen für Kriege geliefert. Papst Franziskus hat nun mit einer Konferenz in Rom in diesem Frühjahr ein Zeichen gesetzt für eine kirchliche Lehre der Gewaltfreiheit und des gerechten Frieden.
Und nun zu uns.
Sind wir wie der Moskito im politischen Betrieb?
Sind wir genügend laut, mit unseren Alternativkonzepten von ziviler Konfliktlösung?
Sind wir darüber in Deutschland im Gespräch mit türkischen, kurdischen, afghanischen, israelischen oder syrischen Friedensfreundinnen und – freunden, die zum Teil hier zur Demo gekommen sind?
Wir brauchen mehr Dialog und mehr Zusammenarbeit. Haben wir eine Antwort auf die uns gestellte Frage: was tut die Friedensbewegung, wenn ein Völkermord in Gang ist wie 1994 in Ruanda? Eine Bombardierung durch einen Staat, der sich selber ermächtigt oder der eine Koalition der Willigen bildet, kann nicht die Lösung sein. Nicht interessengeleitete Nationalstaaten, nur eine gestärkte UNO wird solchen Menschheitsverbrechen entgegengetreten können. Wie dies nichtmilitärisch geschehen kann, ist eine Herausforderung für Friedensforschung und Friedensbewegung. Koalitionen an der UNO vorbei sind Mittel des Faustrechts.
Deutschland verdankt sich heute, nach den Verbrechen des 2. Weltkriegs und des Holocausts, vielen Staaten. Eine gesamteuropäische Einigung einschließlich Russlands erschien mit dem Ende des Kalten Krieges möglich. Richard von Weizsäcker sagte am 3. Oktober 1990: „Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen.“ Eine europäische Einigung einschließlich Russlands ist heute nötiger denn je, um Spannungen abzubauen und Frieden zu erhalten. Deutsche Verantwortung ist nun, die EU als Zivilmacht zu gestalten, beispielsweise durch den Ausbau einer zivilen Antiterrororganisation und einer Agentur für Abrüstung, Konversion und zivile Friedensdienste.
Die Antwort auf die Terroranschläge von 9/11 durch die USA hat zu neuen Kriegen, neuem Terror und zu Flüchtlingselend geführt. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können denen, die auf Kriege setzen, die Ruhe rauben – wie der Moskito im Zelt.